Am Freitag, den 27.01.2023, haben wir uns vom 1.Sinti-Verein Ostfriesland Regionalverband deutscher Sinti und Roma in Niedersachsen gemeinsam mit Mitgliedern der SPD um 16.00 Uhr am Denkmalsplatz in Leer/Ostfriesland zusammengefunden, um an diesem Tag der Opfer zu gedenken und gleichzeitig eine Sensibilisierung zu diesem Thema in der Gesellschaft zu festigen.
Begrüßt und eingeleitet wurde die Veranstaltung nach einer Schweigeminute durch einen Sprecher der SPD, welcher das Wort an ein Vorstandsmitglied unseres Vereines übergab. Nach unserem Vorstandsmitglied sprachen dann ein Abgeordneter des Europaparlamentes sowie ein Landtagsabgeordneter der SPD. Im Anschluss an diese Gedenkveranstaltung wurde ein Kranz niedergelegt.
Anbei die Rede unseres Vereines:
Sehr geehrte Damen & Herren, liebe Bürgerinnen und Bürger der Stadt Leer
Der 27. Januar ist in Deutschland seit 1996 ein bundesweiter, gesetzlich verankerter Gedenktag.
Als „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ ist er als Jahrestag auf den 27. Januar 1945, den Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee im letzten Jahr des Zweiten Weltkriegs, bezogen. Zudem wurde dieser Tag zum „Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust“ von den Vereinten Nationen im Jahr 2005 erklärt.
Der Gedenktag in Deutschland wurde am 3. Januar 1996 durch Proklamation des Bundespräsidenten Roman Herzog eingeführt und festgelegt. In seiner Proklamation führte Herzog aus:
„Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen. Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt.
Sie soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken.“
In unserer gesamten Republik wird an diesem Tag an öffentlichen Gebäuden Trauerbeflaggung gesetzt und in vielen Veranstaltungen über das ganze Land bundesweit die Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten wachgehalten.
Dieser Gedenktag soll uns alle auf aktuelle Tendenzen von Antisemitismus, Antiziganismus, Fremdenfeindlichkeit und Menschenfeindlichkeit aufmerksam machen.
Der franz. Staatspräsident Jaques Chirac erinnerte die Menschen in Europa und auf der Welt in seiner Rede am 25.01.2005 anlässlich der Einweihung des „Holocaust-Mahnmals in Paris“. Er benannte es als die Pflicht einer jeden Nation, sich der Geschichte zu stellen. Antisemitismus, Antiziganismus, Fremdenfeindlichkeit und Menschenfeindlichkeit betitelte er wörtlich als eine Perversion. Eine Perversion, die tötete!
In diesem Gedanken möchte ich uns alle an die Verantwortung erinnern, dass die Geschehnisse in Ausschwitz im Namen unserer Nation geschahen.
Es ist uns bekannt, dass über 6 Millionen jüdische Mitbürger und über ein ½ Millionen Sinti und Roma Opfer des nationalsozialistischen Völkermords wurden. Wir sollten uns verantwortlich zeigen, dass dieses niemals vergessen wird.
Beim Gedenken und Erinnern heute, mehr als 78 Jahre nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft, geht es nicht darum, der heutigen Generation in Deutschland Schuld zu übertragen. Der Sinn des Erinnerns besteht vielmehr in der gelebten Verantwortung für die Gegenwart und für unseren demokratisch verfassten Rechtstaat.
Der Name Auschwitz hat sich als Synonym für die Vernichtung der europäischen Jüdinnen & Juden – der Shoah – in das Gedächtnis der Menschheit eingeprägt; Doch nicht nur diese Gruppe der Jüdinnen & Juden wurde als Entrechtete von der nationalsozialistischen Ideologie zu Feinden erklärt, gequält, verfolgt und ermordet.
Auch die Sinti, die Roma, die Zeugen Jehovas, die Millionen verschleppter Slawen, die Zwangsarbeiter, die Homosexuellen, die politischen Gefangenen, die Widerstandskämpfer sowie die Kranken und Behinderten wurden in den Konzentrationslagern und in ihren Wohnstätten diskriminiert, ausgegrenzt und in großem Umfang umgebracht.
Allein am Beispiel der deutschen Sinti prägten über Jahre und Jahrzehnte in unserem demokratischen Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland, Vorurteile, Diffamierungen und Benachteiligungen die gerichtliche und behördliche Praxis. Die meisten überlebenden deutschen Sinti und Roma waren nach 1945 eben keine Berechtigten und Gleichberechtigten, sondern blieben lange Zeit Opfer staatlich betriebener und sanktionierter Unrechtspolitik. Bis heute gehören gesellschaftliche Diskriminierung und Übergriffe zum traurigen Alltag der Sinti und Roma.
In der Stadt Leer waren 99 Prozent der, in den 50er Jahren in unserer Stadt sesshaft gewordenen deutschen Sinti, Überlebende aus den Konzentrationslagern. Auch am heutigen Tage gibt es noch Überlebende Deutsche Sinti aus den Konzentrationslagern in unserer Stadt.
In unserer Vereinsarbeit war, ist und bleibt der Völkermord und der aktuelle Antiziganismus, ein ständig vorherrschendes Thema. Die Auswirkungen der, erst am 17.März 1982 durch unseren damaligen Bundeskanzler Helmuth Schmidt erfolgten Anerkennung des „Völkermordes an den Deutschen Sinti und Roma“, wirken immer noch nach.
Seine Worte:
„Sinti und Roma ist durch die NS-Diktatur schweres Unrecht zugefügt worden. Sie wurden aus rassischen Gründen verfolgt. Viele von ihnen wurden ermordet. Diese Verbrechen haben den Tatbestand des Völkermordes erfüllt.“,
hallen bis heute nach.
Akteur dieses Kampfes um Anerkennung des Unrechtes war insbesondere der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma in Deutschland mit seinem Vorsitzenden Romani Rose, dem unser Verein als Mitglied angeschlossen ist.
Umso wichtiger ist es, hier und heute der Opfer zu gedenken, die Überlebenden zu ehren und die Verbrechen aufzuarbeiten. Der Blick in die Vergangenheit kann und muss dazu dienen, die fundamentale Bedeutung von gegenseitigem Respekt und Solidarität in Gegenwart und Zukunft besonders hervorzuheben. Nur so ist gewährleistet, dass die Würde jedes Menschen tatsächlich unantastbar ist und dass wir Vielfalt nicht nur respektieren, sondern als Existenzgrundlage und Lebenselixier unserer Gesellschaft begreifen.“ Die Erinnerung an die Entrechtung, Vertreibung und Ermordung der Menschen ist für uns heute lebenden Deutschen eine bleibende Aufgabe. …
Zur deutschen Identität gehört heute die Erinnerung und das Gedenken an die an die Opfer des Nationalsozialismus. Ein Deutscher kann nicht Demokrat sein und gleichzeitig rassistische, antisemitische oder antiziganistische Einstellungen haben.
Im Gegenteil. Nimmt er sich als Demokrat ernst, muss er sich aktiv dafür einsetzen, dass unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger sich in unserem und ihrem Land akzeptiert und sicher fühlen. Das ist das Mindeste als Lehre aus dem größten Verbrechen in der deutschen und Menschheitsgeschichte. …
Trotz oder gerade wegen der vielen Jahrestage und Gedenkveranstaltungen und ungeachtet unserer aufrichtigen Beteuerung gegen das Vergessen, müssen wir aufpassen nicht in Ritualen zu erstarren, die kommende Generationen nicht mehr erreichen. Lebendiges Erinnern und Gedenken gelingt nicht über den Verstand allein. Wir müssen die Herzen und Seelen der jungen Menschen erreichen.
Wir wissen um die erneuten Gefahren von Nationalismus, Antisemitismus, Rassenhass und Fundamentalismus bei uns in Deutschland und anderswo – Tag für Tag.
Und wir wissen, wie sehr politische Wachsamkeit gefordert ist. Es ist unsere Pflicht, über den Holocaust aufzuklären, um eine Wiederholung dieser grauenhaften Geschehnisse zu verhindern.
Gerade viele der jungen Generation wollen wissen, was geschehen ist. Sie wollen die Erinnerung daran wachhalten. Sie möchten bewusstmachen, vorbeugen und verhindern. Die Jugendlichen wollen diese Aufgaben mit Leben erfüllen, weil die Gefahren und Gefährdungen, die durch Radikalismus. Extremismus und Menschenverachtung, mit dem Ende des Nationalsozialismus nicht für immer beseitigt wurden.“
Die Erinnerung an die schwersten Stunden Europas bestimmt unsere Zukunft. Denn mit dem Gedenken erneuern wir unser Bekenntnis zu unseren demokratischen Werten, in deren Kern das Prinzip steht:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“